Das ehemalige Bethaus der Jüdischen Gemeinde in der Grulandstraße soll restauriert werden
Wir gehen mit dem, was wir Ihnen hier zu sagen haben, auf die Straße“ – so hatte sich das „Forum Juden – Christen im Altkreis Lingen e.V.“ vorgenommen. Regen verhinderte ein „Straßengespräch“ unter freiem Himmel. Aber viele alte und neue Frerener Frauen und Männer und ihre Gäste kamen in ein großes Zelt direkt vor einem unscheinbaren Gebäude in der Grulandstraße – im Zentrum der Stadt, zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche. Bis zu den Zerstörungen der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 Mittelpunkt der kleinen Jüdischen Gemeinde Freren. Jetzt soll es, so informierte der Forums-Vorsitzende Reinhold Hoffmann (Baccum), wiedererstehen – als Haus der Begegnung von Religionen und Kulturen, der Besinnung und des Gebets. An seiner Seite standen der Erste Kreisrat Reinhard Winter, der Frerener Lehrer Lothar Kuhrts als stellvertretender Vorsitzender des Forums, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg (Sögel), Samtgemeindebürgermeister Godehard Ritz und Stadtbürgermeister Klaus Prekel.
Die Chancen auf eine Erneuerung des Hauses stehen gut
„Die Grulandstraße war die jüdische Straße Frerens, und ihr Herzstück war das Bethaus“, schildert Lothar Kuhrts. Seit vielen Jahren pflegt er gemeinsam mit Schülern den jüdischen Friedhof mit seinen neun Grabsteinen; erforscht in der „Geschichtswerkstatt Samuel Manne“ das Leben der kleinen Jüdischen Gemeinde und ihrer Menschen; und wirkte mit an dem Mahnmal zur Erinnerung an die Frerener jüdischen Familien Schwarz, Manne, Fromm und Meyberg, an dem es heißt: „Verdrängen hält die Erlösung auf. Sich erinnern bringt sie näher.“ Kuhrts erinnert an die besseren Zeiten: an das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden“ von 1842, das zu Geburts-, Heirats- und Sterberegistern, zur Gründung von zwölf jüdischen Gemeinden im Bezirk der Landdrostei Osnabrück und 1855 zu einer jüdischen Religionsschule in Freren führte. Schritte zur bürgerlichen Gleichstellung. War sie erreicht, als im Ersten Weltkrieg auch sechs jüdische Frerener für Deutschland kämpften – einer sogar mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde? Oder eigentlich nie? „Am Morgen des 10. November 1938 wurden die Beträume von SA-Leuten demoliert, das Mobiliar und die sakralen Gegenstände auf die Straße geworfen und verbrannt. Das Bethaus war das einzige ,Judenhaus‘ in Freren, und am 11. Dezember 1941 wurden von hier die letzten Frerener Juden, das Ehepaar Martin und Erika Manne, der zweijährige Sohn Samuel und die Großmutter in das Getto Riga deportiert. Das Haus übernahm ein Frerener Nationalsozialist.“
Die Chancen, es als Haus der Begegnung und des Gebetes wieder zu beleben, stehen gut. Auf Bitten des „Forums Juden – Christen“ hat die Jüdische Gemeinde im ehemaligen Regierungsbezirk Osnabrück das unter Denkmalschutz stehende Gebäude für 60 000 Euro gekauft. 30 000 Euro hat die Sparkassenstiftung zugesagt, 15000 Euro die Axel-Wisniewsky-Stiftung. Der Preis für die Sanierung wird bei etwa 155 000 Euro liegen, hinzu kämen Mittel für die Ausstattung. Der Lingener Architekt Eberhard Dreyer zeigt während der Information in Computer-Simulation, wie die Bet- und Gesprächsräume künftig aussehen könnten. 50 Prozent der Sanierung wird das Amt für Agrarstruktur übernehmen. „Nicht nur 30 000 Euro – auch zehn Euro helfen uns“, sagt Reinhold Hoffmann. Er verweist auf die bereits angelaufene Aktion „Ihr Stein zum Erhalt des ehemaligen Frerener Bethauses“, kündigt für das Frühjahr ein Benefizkonzert in den Lingener Emsland-Hallen an, will mit Schülerinnen und Schülern einen Sternlauf organisieren, hofft auf eine Beteiligung auch von Erwachsenenbildungs-Einrichtungen und auf eine Kollekte in den Kirchen. Aber, so Hoffmann:“Es ist nicht nur das Geld. Das Wesentliche ist, dass dieses Haus von Ihnen gut angenommen wird. Dass Sie sagen: Da mische ich mich ein, da mache ich mit, da helfe ich.“ Er freut sich, dass Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, gern bereit war, die Schirmherrschaft für das „Projekt Bethaus in Freren“ zu übernehmen. Es bleibe noch viel miteinander zu reden und zu arbeiten, da sind sich Kreisrat und Bürgermeister einig. Gemeinsam werde man es schaffen. Beide Bürgermeister heben den Standort zwischen den Kirchen hervor.
Josefine Kolbe geb. Meyberg (83), Enkelin des letzten Frerener Synagogenvorstehers, stand zu Beginn der Veranstaltung noch vor einem Foto von der Hochzeit ihrer Tante Johanna Meyberg mit Jan Konym aus Amsterdam 1926. „Wenn ich das Bild sehe, muss ich immer noch weinen“, sagte sie leise. Beide wurden 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet, die Großeltern, auch auf dem Bild, in Auschwitz. Sie selbst überlebte mit ihrer Schwester, weil sie „Halbjüdin“ war und „nur“ Zwangsarbeit leisten musste. Jetzt ist sie aus Osnabrück gekommen und von dem Neubeginn in Freren geradezu überwältigt: „Wenn das meine Angehörigen wüssten…! Es ist unwahrscheinlich für mich!“
Ein Wunsch: Jugendliche sollen dieses Haus oft besuchen
Bernhard Fritze (77), 31 Jahre Schulleiter und Ehrenbürger der Stadt Freren, meldet sich zu Wort: „Für mich ist das Entscheidende, dass wir uns insbesondere um die Jugend kümmern. Ich habe den Synagogenbrand in Lingen als 13Jähriger erlebt.“ Er wünscht sich: „Die Jugend, die Schulen sollen dieses Haus oft besuchen!“
Begegnungen im ehemaligen Betraum: Landschaftsplaner Peter und Anne Stelzer (38 und 36), seit sechs Jahren in Freren und Eltern von vier Kindern: „Wir haben uns das Haus gegenüber gekauft. Wir sind neue Nachbarn der Synagoge.“ Sie waren im Zelt dabei und „finden es gut, wenn viele Kulturen einander kennenlernen – und dies ist eine Ansatzstelle dafür“. Anke Varel-Bauer (42), Geschäftsfrau und Mutter von drei Kindern, seit zwölf Jahren in Freren, wünscht sich: „Man soll sich an die Zerstörung 1938 erinnern und gemeinsam mit den anderen Kulturen und Religionen einen Weg in eine bessere Zukunft finden.“ Maria Voetlause